Textschnipsel aus „Frohe Weihnachten“, angepasst.
Das Haus sieht aus wie aus einem Bilderbuch, festlich erleuchtet, die Lichterketten an den Tannengirlanden überall verheißen Glückseligkeit und lassen den hellen Schnee ringsum aufleuchten. Aus den drei Gesichtern strahlt Weihnachtsfreude.
„Frohe Weihnachten!“
„Ja, die wünsche ich Dir auch, von Herzen!“, die alte Dame nickt freundlich zu ihren Worten.
„Ich habe sie bereits und noch viel mehr!“, das Lächeln auf dem Gesicht des jungen Mannes vertieft sich einmal mehr, während der Blick zum Antlitz seiner Liebsten gleitet. Die junge Frau schmiegt sich nun noch enger an ihn, während die Augen beider ineinander versinken.
Zoom - Aus - Abspann.
Der Blick der Frau bleibt regungslos auf dem Bild des TV-Geräts hängen. Eigentlich blickt sie eher hindurch, irgendwo ins Nirgendwo. Den Anschluss an die Handlung hat sie schon länger verloren. Ihre Gedanken sind in ihrer Vergangenheit hängengeblieben, wie so oft im letzten Jahr.
Der nun folgende Werbespot, laut und in grellen Farben reißt sie aus ihren Gedanken. Sie greift nach der Fernbedienung und einen Moment später breitet sich wieder Stille aus. Diesmal empfindet sie die Stille als angenehm. Meist ist es nicht so. Meist ist es unerträglich still und nur das TV-Gerät oder die vielen Notwendigkeiten, die bearbeitet werden wollen, helfen ihr, das alles zu ertragen.
Vor einem Jahr noch ... wieder beginnt der schmerzvolle Kreislauf ihrer Gedanken. Vor einem Jahr noch, das saßen sie noch zusammen, da war die Welt nicht heil, aber in der Vertrautheit und mit all den Annehmlichkeiten, die sie sich eingerichtet hatte, hatte sie ihr Halt gegeben.
Die Annehmlichkeiten gibt es noch, aber ein wichtiges Teil fehlt: ihr Mann.
Zusammen mit ihrem nun bereits erwachsenen Sohn hatten sie eine Blase für sich gebildet, auch wenn der, allein, in einer eigenen Wohnung lebte. Und sie hatte sich eingerichtet und so wohlgefühlt, wie sie es vermochte, nach allem was sie als Kriegskind erlebt hatte.
Heute, am 1 Weihnachtstag ist von ihrer Blase nichts mehr übrig, zerplatzt an jenem Tag im vergangenen Februar. Und in der Sorge um Ansteckung in diesem Jahr der weltweiten Pandemie, haben Annerose und ihr Sohn beschlossen, sogar auf einen Besuch zu verzichten. Gestern am Heiligen Abend hatte sie ein Festmahl gekocht mit allem was dazu gehört: Ente, Rotkohl und Klöße. Sie hatte alles wohlverpackt in ihr Auto geladen und dann beim Sohn auf die Klingel gedrückt, die Schüsseln vor der Haustür abgestellt. Im Auto sitzend hatte sie auf den Moment gewartet, in dem sie den Sohn, die Türe öffnend erblickt hatte. Aus sicherer Entfernung hatten Mutter und Sohn dann einander zugewinkt, ein einziges kurzes Lächeln. Dann hatte sie den Motor gestartet und war zurückgekehrt in ihre stille Blase.
Und doch sollte sie zu diesem Weihnachtsfest noch das schönste Geschenk ihres Lebens erhalten, aber das wusste sie noch nicht.
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