LESEPROBE 1:
Synchron drehen wir die Köpfe in Richtung Eingangsbereich. Ein Poltern ist von dort zu hören, dann ein leises Fluchen.Ich verziehe den Mund. »Das waren wohl meine Schuhe.«»Gran?«, grollt eine tiefe Stimme.»Ich bin hier«, ruft Misses Parker und ich löse mich aus dem Türrahmen, um Platz zu machen. Dabei spüre ich, dass ich ein ganz klein wenig aufgeregt bin. Welcher ihrer drei Enkel es wohl ist, der die alte Dame abholt? Der jüngste, Randy, von dem ich schon viel Unsinn gehört habe? Oder Luke, der älteste und vernünftigste der drei Brüder? Oder ist es vielleicht sogar Jayke mit dem bezaubernden Lächeln, das vor allen Dingen in seinen Augen stattfindet?Ich werde es gleich erfahren, wie mir die schweren Schritte im Flur verraten. Gespannt schaue ich dem Enkel von Misses Parker entgegen und bin erfreut, als ich erkenne, dass es sich tatsächlich um Jayke handelt.Es ist eigenartig, ihm zum ersten Mal Auge in Auge gegenüberzustehen. Er ist groß und gut gebaut, ganz so wie auf dem Bild. Sein Haar ist schokobraun, kurz und an der Seite gescheitelt. Die Frisur wirkt allerdings nicht brav, da die Haare vorn ein wenig hochstehen, als wäre der Wind hineingefahren. Seine Brauen sind ebenso dunkel und markant, sie stehen in starkem Kontrast zu seinen hellen Augen und den sanft geschwungenen, sinnlichen Lippen. Er ist perfekt rasiert und seine Kleidung ist weit weniger leger als auf dem Foto: Sein sportlicher Körper steckt in Hemd, Anzughose und einer teuer wirkenden schwarzen Jacke, und noch etwas ist anders als auf dem Bild – er lächelt nicht. Als er mich sieht, verdüstern sich seine Augen sogar und er nimmt mich streng ins Visier.»Sind das Ihre Schuhe im Flur? Die stehen mitten im Weg, meine Grandma hätte sich den Hals brechen können.«Ich kräusle die Nase und setze eine schuldbewusste Miene auf. »Tschuldigung.«Manchmal kann ich ein richtiger Tollpatsch sein. Mein zweiter Vorname könnte Fettnäpfchen sein. Und mein dritter Chaos. Dann wüsste immerhin jeder sofort, woran er bei mir ist.Ich strecke Jayke, der immer noch finster dreinschaut, die Hand entgegen. In seinen Augenbrauen hängen kleine Schneeflocken, die in der Wärme der Wohnung zu schmelzen beginnen und seine Wangen sind leicht gerötet. »Ich bin Holly«, sage ich und er ergreift meine Finger mit seinen. Zu meiner Überraschung fühlt sich seine Haut ganz warm an.»Jayke«, knurrt er, was mir zeigt, dass er wegen der Schuhsache immer noch ziemlich angesäuert ist.»Ich räume dann mal meine Schuhe weg«, grinse ich und schiebe mich an ihm vorbei in den Flur.
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