Montag, 20. Dezember 2021

[Weihnachtscountdown 2021] Tag 20 - Beitrag 14 - Diana Lapescara

Peter und die Liebe
von Diana Lapescara

„Liebe, Liebe …“, schrie Peters Mutter.
Der kleine Junge lag in seinem Bettchen und weinte still. Im Kinderbett auf der anderen Seite des Kinderzimmers schnarchte leise seine Schwester Anne – Marie. Sie war erst drei Jahre alt und als er aufstand und zu ihr herüber ging, sah er auf das Köpfchen mit den blonden Locken. Einen Augenblick starrte er sie an. Dann fasste er einen Plan.
Jetzt, kurz vor Weihnachten sollte seine Überraschung wahr werden. Leise zog er sich im Schein der Nachtleuchte an. Mit fünf Jahren konnte er sich alleine anziehen. Seine Mama sagte immer zu ihm: „Mein Großer.“
Hin und wieder schielte er zu seiner schlafenden Schwester und ab und zu zur Tür. Dann kam das Schwierigste.
Vorsichtig kletterte er auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, dann weiter auf den Tisch, während sein Herz bummerte.
Als er mit seiner Sparbüchse unter dem Arm wieder auf dem Teppichboden stand, befand sich sein gesamter Schatz von fast zehn Euro in dem rosaroten Porzellanschwein.
Jetzt musste er es schaffen, unbemerkt aus der Wohnung zu kommen, dachte er und lauschte. Die Eltern stritten im Wohnzimmer und bemerkten nicht wie sich hinter ihrem Sprössling die Wohnungstür leise ins Schloss fiel.
Im Flur hatte Peter rasch seinen Anorak, Schal, Mütze und Handschuhe geschnappt und war damit hinausgehuscht. Im Treppenhaus setzte er sich auf den Läufer und zog rasch seine Stiefel an und sauste hinunter.
Mit einem beklommenen Gefühl trat er aus dem großen Mietshaus und schaute wehmütig hoch zu dem hellerleuchteten Fenster.
Erst jetzt bemerkte er, dass es schneite. Feine Flocken wirbelten im Schein der Straßenlaterne und deckten alles mit einer dünnen weißen Decke zu. Es sah wie Puderzucker aus. Fasziniert streckte das Kind die Zunge heraus, um die Kristalle zu spüren.
Etwas zog in seinem Bauch, was er sich nicht erklären konnte. Niemals ging er ohne Mama oder Papa aus dem Haus. Schon gar nicht in der Nacht. Sein Herz klopfte ihm bis zum Halse, als er die Menschen an sich vorüberhasten sah.
»Ich bin wie der Ritter aus meinem Vorlesebuch. Ich werde sie holen«, sagte Peter laut zu sich selbst.
Dann atmete er tief ein, während die kalte Luft in seiner Lunge brannte. Schnurstraks marschierte er in Richtung Einkaufscenter. Manche Passanten starrten ihn verwundert an, aber keiner sagte ein Wort.
Leuchtende Kugeln vom städtischen Weihnachtsbaum markierten den Weg zum Christkindlesmarkt. Einen Augenblick stand Peter verträumt still und bewunderte mit glänzenden Augen das Treiben. Die Eltern hatten den Kindern am Abend versprochen, am morgigen Sonntagnachmittag auf den Weihnachtsmarkt zu gehen.
Der Junge konnte sich nicht satt sehen. So viele Eindrücke. Jubelschreie von Kindern auf den Karussells, der Geruch von gebrannten Mandeln, Zimtsternen und Maronen stieg ihm in die Nase. All diese süßen Leckereien, dachte er und hätte sich am liebsten eine Tüte gebrannte Mandeln gekauft. Sein Sparschwein klemmte nach wie vor unter seinem linken Arm. Die Hände wurden feucht und in seinen blauen Augen spiegelten sich tausende bunte Lichter.
»Hey, Kleiner, wo ist deine Mama? Hast du sie verloren?«, hörte Peter die Stimme eines älteren Mannes. Erschrocken hob der Junge den Kopf und sah in das runzlige Gesicht mit den freundlichen Augen.
»Iiiicccchhh …« Weiter kam er nicht, nahm seine Füße und rannte davon. Was, wenn man ihn hier jetzt einfängt, wie einen entlaufenen Hund. Dann wäre alles umsonst. Nein, so sollte es nicht enden.
An der nächsten Hausecke hielt er an und blinzelte um die Ecke, ob ihn der Mann mit dem grauen Mantel verfolgte. Der Puls schlug Peter zum Halse und er krümmte sich ein wenig, um das Seitenstechen zu vertreiben.
Dann sah er das Einkaufscentrum direkt vor ihm mit dem riesigen Parkplatz und den vielen bunten Autos davor.
Seine Augen starrten in die Richtung mit den Buchstaben, die er ganz genau kannte.
Wie gerne wäre er in seine großen Lieblingsladen hineingegangen, um ein wenig zu stöbern, ausgiebig einmal zu spielen und neues Spielzeug zu entdecken. Immer hatten die Eltern so wenig Zeit. Peter seufzte bei dem Gedanken und senkte den Kopf.
Dann marschierte er über den Zebrastreifen direkt auf das große Portal des Einkaufscenters zu.
Die Türen sprangen unaufhörlich auf und zu, während Menschen mit Einkaufswagen ein- und ausfuhren.
Kaum hatte er die Türen passiert und wollte sich gerade umschauen, packte ihn eine schwere große Hand auf der Schulter und hielt ihn fest.
Peter war so erschrocken, dass er beinahe aufgeschrien und das Sparschwein fallen gelassen hätte.
Dann folgte die dröhnende Bassstimme zu der Pranke:
»Wohin des Weg´s junger Mann?«
Zitternd fing das Kind an zu weinen.
»Ich muss doch …«, schniefte und jammerte es.
»Was musst du? Ich würde sagen, ins Bett, oder hast du deine Mutter verloren?«
Als aus dem Kind außer dem Heulen nichts herauskam, führte ihn der Mann mit der schwarzen Uniform in einen Flur und dann eine Treppe hinauf. Er hielt Peter so fest, dass dieser das Gefühl, seine Hand wäre in einem Schraubstock, wie bei Papa. Er weinte und bettelte, aber der Mann hörte es nicht. Sein Plan war in die Hose gegangen. Aber, vielleicht wissen die Leute wo ich …, dachte der Junge.
Dann klopfte der Mann an einer Tür.
Kurz darauf traten beide ein und Peter sah eine Frau hinter einem Schreibtisch sitzen. Sie hatte eine Brille auf, über deren Rand sie beim Eintreten der beiden aufsah. Ihre schwarzen Locken umrandeten das runde Gesicht.
Sie sah nicht grimmig aus, als sie erstaunt aufschaute.
»Ja, wen haben wir denn da? Hast du dich verlaufen? Wie heißt du?«
Peter holte tief Luft und wimmernd antwortete er:
»Meine Mama, mein Papa und meine Schwester Anne-Marie sind zu Hause. Die nette Frau fasste sich an die Brust.
»Bist du weggelaufen?«
»Nein«, stammelte er. Tränen liefen über seine Wangen.
Seine Stimme zitterte. Dann fasste sich Peter ein Herz, denn die Frau sah ihn aufmunternd an, ohne ihn zu unterbrechen.
»Morgen ist doch Nikolaustag. Da wollte ich meiner Mama und meinem Papa etwas kaufen.«
Die Augen der Frau wurden immer größer.
»Und da läufst du mitten in der Nacht umher? Da kann dir sonst etwas passieren. Aber, sag mal, was wolltest du deinen Eltern kaufen?«
»Liebe«, kam es ganz leise aus dem kleinen Jungen.
Die nette Frau stand auf und kam um ihren Schreibtisch herum, strich dem Kind liebevoll über sein strubbeliges blondes Haar. Peter hatte zuvor seine Mütze vom Kopf gerissen, weil es im Raum so warm war.
Sie sagte kein Wort, weil sie den Jungen nicht unterbrechen wollte, nahm ihn liebevoll in ihre weichen Arme. Da sah er in ihren Augen eine Träne glänzen.
Peter roch das blumige Parfum und hatte nun keine Angst mehr. Nach und nach sprudelten die Worte aus dem Jungen, was ihn bewog, mitten in der Nacht loszulaufen.

Als Peter mit seiner Geschichte endetet, nahm sie seine warme Hand und sagte leise:
»Weißt du, Liebe kann man nicht kaufen. Die hat man hier drin.« Dabei zeigte sie auf ihren üppigen Busen. »Aber wir machen uns jetzt auf den Weg, bevor deine Mama und dein Papa einen Herzschlag bekommen. Okay?«
Ängstlich hob Peter seinen Kopf: »Werden sie auch nicht schimpfen?«
Die nette Frau schüttelte ihren Kopf. Da sah Peter, wie ihre schwarzen Locken um ihr Gesicht flogen.
»Nein, ganz bestimmt nicht.«

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