Montag, 6. Dezember 2021

[Weihnachtscountdown 2021] Tag 6 - Beitrag 5 - Diana Lapescara

Im Kundencenter
Diana Lapescara


An einem Novemberabend brachte ein Mann eine Kaffeemaschine in die Abteilung des Mediamarktes. Mit einem Wisch, schob er die nasse Locke aus seinem Gesicht. Der Regen trommelte permanent an die Fensterwand des Einkaufscenters.
»Ich möchte dieses Teil zurückbringen.« Mit Wucht stellte er den Karton auf den Tresen. Die Verkäuferin mit dem roten T-Shirt starrte ihn für einen Augenblick an, dann zeigte sie in die Richtung aus der er gekommen war.
»Alte Geräte und die zur Reparatur müssen da abgegeben werden«, schenkte ihm ein freundliches Lächeln und wendete sich anderen Kunden zu.

Mürrisch zog der Herr den feuchten Karton wieder an sich, wendete er sich um und strebte langsam dem Ausgang zu.
Es dauerte eine Weile, bis er an der Reihe war. Der Kaffeeautomat in seiner linken Hand wurde schon schwer und gerade, als er überlegte, diesen auf den Boden zu stellen, kam er dran.
Wieder stellte er das Gerät auf den Tresen. Ein junger Mann mit grünen Haaren und Nasenring starrte ihn erwartungsvoll an.
»Kundendienst?«
»Was? Kundendienst? Jungchen, das ist eine blöde Kaffeemaschine und die funktioniert nicht? Ich habe doch kein Auto unterm Arm.«, mokierte sich der ältere Herr im feinen Anzug. Grinsend hob der Junge den Arm.
»Nee, das machen wir jetzt auch bei Kaffeemaschinen und so wie ich das sehe, ist das ein Kaffeeautomat. Also, was nun Kundendienst oder Reparatur?«
»Na gut, dann macht mal einen Kundendienst. Ob da was rauskommt, ist auch noch die Frage. Meist macht ihr ja dann was kaputt, damit ...«
Die übrigen Kunden brummten unverständliche Worte.
Nachdem der feine Mann seine Daten diktiert hatte, nahm er die Eingangsbestätigung ohne ein Wort entgegen und verließ das Lokal ohne einen Gruß.

Als die Nacht hereinbrach, lugte der Vollmond durch die Fensterfront der Kundendienst -Abteilung. Plötzlich tuschelte und wisperte es im Raum.
»Hey, da haben wir ja wieder einen Neuzugang. Wie heißt du?«
Der Kaffeeautomat stand weit oben im Regal neben einem älteren Model und fühlte sich beobachtet. Krächzend begann er:
»Sprecht ihr mit mir?«
»Na klar, mit wem den sonst?«
»Ich bin die Lotte. Entschuldigt.«
»Ach wie süß. Eine Pussy. Und warum bist du hier? Bist du verkalkt?« Ein leises Kichern erklang vom anderen Ende.
»Lass sie doch. Vielleicht ist eine Düse bei ihr verstopft.«
»Ich bin müde. Entschuldigung.«
»Du brauchst dich doch nicht dauernd zu entschuldigen. Wir haben alle unsere Probleme. Sieh mal, ich wurde überhaupt nicht gebraucht und stand ein ganzes Jahr rum, da war bei mir der Schlauch porös geworden und mein Besitzer, dieser Strolch, wollte mich wegwerfen. Gott sei Dank hat mich seine Freundin gerettet und mich hier abgegeben.«
»Ich habe auch ein Problem, Hick«
»Entschuldigung, wer bist du denn?«, fragte Lotte.
»Ich bin Egon, der Staubsauger. Ich verschlucke mich manchmal an dem vielen Staub, was mein Besitzer überhaupt nicht mag. Da spucke ich den Staub wieder aus und der Olle hat mich einfach auch hier abgeladen. Hick.«
»Ja, spiel dich nicht so auf. Wir sind alle aus irgendeinem Grund hier. Da müssen wir froh sein, dass wir überhaupt repariert werden. Ich hatte eine Freundin, eine „Flotte Lotte“. Sie hatte nur eine kleine Schraube verloren und die Tussi hat meine Liebe einfach weggeworfen.« Der Gemüseschneider wischte sich eine Träne vom Stahlrahmen. »Ich muss aufpassen, dass ich nicht roste, sonst muss ich mein Leben auch mit dem Tod auf der Müllkippe bezahlen.«
»Ach, wisst ihr. Ich bin einfach nur müde. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was ich arbeiten musste. Ganze zwei Wochen wurde ich Tag und Nacht gebraucht und musste dem Typen Kaffee kochen. Der konnte einfach nicht genug bekommen.«, schniefte Lotte.
»Ja, dass verstehen wir. Mach dir keine Sorgen. Dir wird hier schon geholfen. Vielleicht ein kleiner Eingriff und dann zurrst du schon wieder wie neu.«
»Was, ein kleiner Eingriff? Ich habe Angst vor Schraubendrehern und so. Die Menschen sollen so eine Gewalt anwenden und hin und wieder abrutschen, hat man mir gesagt.«
»Ach was, das wird schon wieder. Ich bin zum fünften Mal hier und mir hat bisher noch keiner weh getan«, kommt eine Stimme aus dem unteren Regal.
»Aber warum bist du dann schon vier Mal dagewesen?«
»Taktik, Schätzchen.«
»Verstehe ich nicht.«
»Ganz einfach, wenn du ab und zu mal eine Auszeit brauchst, spinnst du ein wenig und kommst hier her wie zur Kur. Dann kannst du dich mal für eine Weile ausruhen und wenn es dir wieder gut geht, bist du auch wieder wie neu und arbeitest umso besser.«
In den hinteren Reihen rumorte es.
»Wieder dieser Angeber. Ich kenne seinen Besitzer, der ist dieser eingebildete Junggeselle, der nur wegen unserer bildhübschen Blondine aus der Abteilung herkommt. Wenn er die Katja mit dem Minirock und den langen Beinen nicht umgarnen würde, wärst du schon im Altmetallhimmel.«
Lotte schniefte.
»Ach mach dir nichts draus. Geh erst einmal zur Reparatur, die checken dich auf Herz und Nieren und das tut normal nicht weh, sondern ist eine Wohltat, dann musst du dich nicht so mit den Kaffeebohnen abquälen. Dein Mahlwerk wird geölt und alle Teile werden gut geschmiert, dann funktioniert wieder alles bestens. Du wirst es schon sehen.« Die alte Dame von der Marke Jura neben ihr, nickte freundlich und Lotte schlief friedlich ein.
Am nächsten Tag traf ein Lieferwagen ein, zog Lotte aus dem Regal und stellte sie in den Transporter. Eine lange und holprige Fahrt führte sie in ein kleines Städtchen in der Schweiz.
Lotte hörte zum ersten Mal „Schwyzerdütsch“.
Man fasste sie behutsam an, öffnete sie an ihrem Innersten. Lotte zitterte ein wenig. Aber die Hand war so sanft zu ihr, dass sich Lotte wie im siebten Himmel fühlte. Es war tatsächlich so, wie die alte Jura erzählte. Der Mann reinigte und ölte Lotte anschließend. Dann kam die Krönung.
Das Aroma von feinen herben Kaffeebohnen rann in ihr Mahlwerk. Lotte surrte wie ein kleines Uhrwerk und ohne große Gewalt bewältigte sie die Bohnen. Ein feiner Kaffee mit einer herrlichen Crema rann aus ihr.
Jetzt wusste Lotte, was ihr die anderen Geräte versucht hatten, zu erzählen.

Ein paar Tage waren vergangen und Lotte war zurück in Deutschland. Wieder stand sie mit anderen Geräten in einem Regal. Sie freute sich auf die Unterhaltung in der Nacht. Doch es kam ganz anders.
Kein Vollmond lugte durch die Fensterscheiben und alles war still. Lotte seufzte und schlief schließlich ein. Am Morgen schickte die Sonne ein paar wärmende Strahlen ins Kundencenter, als die Tür aufgeschlossen wurde und Katja eintrat. Das Mädchen schüttelte ihre zerzausten blonden Locken und band sie mit einem roten Haargummi zusammen und begann Staubsauger, Küchenmaschinen und andere Geräte ins Regal zu räumen.
Kaum standen alle Geräte sortiert auf ihren Plätzen, der kleine Zeiger rückte zur Neun, da schloss Katja die Eingangstür auf.
Unentwegt brachten oder holten Männer und Frauen Geräte. Es sah aus wie in einem Taubenschlag und Lotte gefiel dieses Gewusel überhaupt nicht. Das Regal, in dem sie stand zitterte jedes Mal, wenn das Mädchen ein schweres Teil darauf wuchtete oder weg-nahm.
Endlich, zur Mittagszeit ließ der Ansturm nach. Katja war keines falls schlecht gelaunt. Sie schaltete ein Radio an und sang mit. Gerade holte sie sich eine Flasche Wasser, als leise die Tür aufging.
Der ältere, feine Herr trat etwas schüchtern herein. Er blinzelte, schob eine Nickelbrille auf die Nase und suchend schaute er sich um. Katja kam gerade aus dem Aufenthaltsraum.
»Ah, habe ich doch richtig gehört. Sie möchten etwas bringen, oder abholen?«, fragte sie.
»Mh.« Trotzig schob er ihr den Abholschein rüber, den er schon in der Hand hielt.
Lächelnd nahm sie den Zettel und suchte im Regal nach der Nummer. »Ein Kaffeeautomat?«, Da keine Antwort folgte, zog sie Lotte mit einem Rutsch vom Metallboden und wuchtete das Gerät auf den Tresen.
»Was bin ich schuldig?«, brummte der Mann. Das schwarze Büffelleder seines Geldbeutels sah abgegriffen aus, als er es mit zittrigen Fingern an die Brust seines Trenchcoats presste.
Das Mädchen entfernte den festgeklebten Zettel, der an der Maschine befestigt war, faltete ihn auseinander und las.
»Nichts«, nuschelte sie.
»Was, nichts?«
»Sie brauchen nichts bezahlen. Die Revision war in der Garantiezeit und da kostet es nichts.«
»Ist das wahr?« Seine Augen begannen zu leuchten. Rasch steckte er seinen Geldbeutel wieder zurück in seine Manteltasche. Liebevoll hob er Lotte an seine Brust und verließ mit leichtem Schritt das Kundencenter.

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